Nachruf

Imre-Árpád Csiszér

 Im Alter von 62 Jahren ist Imre-Árpád Csiszér in Wien gestorben. Er war ein hervorragender Cellist, Pädagoge und Unterstützer in Sachen musikalischer Hilfsprojekte.

Imre-Árpád Csiszér ist am 13. März 1958 in Reps/Rupea/Köhalom in Rumänien geboren. Seine Familie gehört der ungarischen Minderheit, den Széklern, in Siebenbürgen an. Als Kind nahm er, wie es in Siebenbürgen üblich ist, in der Musikschule an musikalischer Früherziehung teil. Er liebte es zu singen und tat es immerzu. Sehr eng fühlte er sich dem Franziskaner Pater Marianne († 1995) verbunden, der zuvor unter Ceausescu zehn Jahre in Haft war. Täglich ministrierte er in dessen  Messen schon als Fünfjähriger und während seiner gesamten Schulzeit schon in der Früh vor Schulbeginn. Als Jugendlicher hatte er fest vor, Priester zu werden. Mit sieben Jahren erhielt Imre-Árpád den ersten Cellounter-richt und  entschied sich später doch für die Cellisten-Karriere. Gleichwohl blieb er während seines ganzen Lebens der römisch-katholischen Kirche eng verbunden.

Seine Vorfahren waren sehr reich. Mit ihren  vielen Gütern standen sie ihren Mitmenschen sehr aufmerksam gegenüber und halfen, wo sie konnten.  Sein Vater leitete eine Schuhfabrik, die ihnen Wohlstand gewährleistete und die Familie in der  strengen Zeit des Kommunismus vor dem Schlimmsten bewahrte. Die Güter gingen allerdings in Staatseigentum über.

Seine Eltern ließen ihn und seine fünf Jahre ältere Schwester Annamaria freizügig und frohgemut aufwachsen. Seine Mutter Josefina-Margareta Csiszér zauberte das beste Essen auf den Tisch. Wer etwas hatte, gab den Nachbarn. Oft war Pater Marianne zu Gast. In Imre-Árpáds jungen Jahren spielte er in Neumarkt begeistert mit seinen Freunden Fußball, zum anderen betätigte er sich später für sie leidenschaftlich als Discjockey; auf diese Weise machten sie sich heimlich mit im Land verbotener  Musik vertraut.

Unter dem Regime Ceausescus verweigerte Imre-Árpád Csiszér nach seiner Matura 1977 auf abenteuerlicher Weise den Wehrdienst. Nur sehr knapp entging er dem Gefängnis. Obwohl er zur ungarischen Minderheit gehörte, konnte er trotzdem im Konservatorium in Klausenburg in der Vorbereitungsklasse von 1977-1981 bei Prof. D. Cristescu studieren – bzw. konnte er nur in der Vorbereitungsklasse studieren. Denn als Ungar hatte man keine Chance auf einen regulären Studienplatz, weshalb so viele Ungarn aus dem Land flüchteten. Darum entschied er sich, in die DDR zu übersiedeln, wo er die Solocellostelle im Stadttheater Halberstadt im Orchester erhielt und von 1981-1986 dort arbeitete.

Als der Diktator eine Rückholaktion aller rumänischen Auslandskinder nach Rumänien gestartet hatte, floh Imre-Árpád Csiszér 1986 unter dramatischen Umständen mit seiner Frau Melinda, einer Cellistin, seiner gerade erst einjährigen Tochter Réka (*1.2.1985), einem nur halbvollen Koffer und zwei Celli nach Österreich, und zwar durch die ehemalige Tschechoslowakei zur ungarisch-österreichischen Grenze über Mosonmagyaróvár nach Nickelsdorf. Es war eine Zeit, in der immer wieder die Grenzen inoffiziell offen waren, und viele die Chance  – nicht ohne Risiko – zur Flucht nützten. 20 Minuten musste er mit seiner Familie an der Grenze mit vorgehaltenen Maschinengewehren aushalten, bis das rettende Tor geöffnet wurde.

Oft gedachte er seines Cousins Árpád Visky (1940-1986), ein Schauspieler in Sepsiszentgyörgy, der unter der kommunistischen Diktatur  im Wald erhängt worden war.

Nach einer Odyssee in Salzburg, wo sie um Asyl ansuchten, konnten sie schließlich im Lager in Altenmarkt an der Triesting/NÖ einquartiert werden. Dort wurden ihnen zwar deren ganzen Ersparnisse aus der DDR-Zeit gestohlen, trotzdem blieb ihm  Altenmarkt in guter Erinnerung. Er hatte damals die Vögel genossen, die sein Cellospiel begleiteten, und sich über die  Spaziergänger amüsiert, die sich über die schöne Musik im Wald wunderten, denn er musste im Freien Cello üben. Gerne dachte er daran zurück.

Bereits nach Wien übersiedelt, aber noch während des Asylverfahrens, starb sein Vater Árpád Csiszér (1927-31.3.1990) in Siebenbürgen, zu dessen Beerdigung er nicht fahren konnte, da sein Asylverfahren noch nicht abgeschlossen war. Wien sollte bis zum Schluss sein fester Wohnsitz bleiben.

Aus Integrationsgründen nahm er noch einmal 1987-1991 ein Studium im Konservatorium der Stadt Wien bei Adalbert Skocic auf, während er gleichzeitig Substitut in der Wiener Staatsoper war.

Nachdem seiner Familie die unbefristete Niederlassung mit unbeschränktem Arbeitsmarktzugang bewilligt und die Österreichische Staatsbürgerschaft zuerkannt worden war, folgten gute Zeiten. Bald wurde er ständiger Substitut im Stadttheater Baden, der heutigen Bühne Baden, dann fix engagierter Solocellist in diesem Orchester. Anfangs unterrichtete er als beliebter Pädagoge parallel dazu in der Musikschule in Gänserndorf/NÖ, gab die Stelle jedoch später auf, um mehr Zeit mit seiner Familie verbringen zu können. Einer seiner Schüler übernahm nach dessen Studium seine Stelle. Ebenso spielte er in Wien im Ensemble XX. Jahrhundert unter Peter Burwik, in der Haydn Sinfonietta Wien, im Vienna Walzer Orchestra, im Wiener Imperial Orchester, im Carl Michael Ziehrer Orchester und im Salonorchester „Alt Wien“, als Kammermusiker  mit Franz Wagner&Friends in Baden, Art Trio Baden, Gassenhauer Ensemble Wien und KaetKaeL, als Solist  mehrere Cellokonzerte. Er wirkte bei zahlreichen CD-Aufnahmen mit und hatte Konzerte im In-und Ausland. Gelegentlich gab er sowohl Meisterkurse in Ungarn und in Siebenbürgen, als auch unterrichtete er in Wien Privatschüler.

Es war ein Vergnügen mitzuerleben, wie er meine beiden Kinder Adrian und Daria mit viel Spaß und Humor durch den Alltag begleitete. Er unterrichtete sie jahrelang, meine Tochter sogar bis ganz zuletzt.  Privat galt Schwimmen als seine große Leidenschaft, oder er betätigte sich begeistert als Hobbygärtner. So nahm er 2015 ehrenamtlich die Arbeit in der Entwicklungszusammenarbeit auf, um Anamed in Kenia mit einem Musikzentrum zu unterstützen. Zu diesem Zweck flog er auch 2015 nach Kaumoni/Kenia. Ebenso unterstützte er Live Music Now Unisono mit der Anschaffung von Instrumenten. In Arad in Siebenbürgen spendete er Musikschülern, die einer Baptistengemeinde  angehörten oder sozial benachteiligt waren, regelmäßig  Instrumentenzubehör. (c/o László Kászoni, Strada Libertatii 55, Vladimirescu). Dank ihm profitieren hunderte Menschen von diesen nachhaltigen Projekten, mindestens 300 in Kaumoni/Kenia, für Rumänien fehlen mir leider die Informationen und viele, viele hunderte im Flüchtlingsprojekt.

Als ob sich ein Kreislauf schließen sollte, kam Imre-Árpád Csiszér im Mai 2019 mit der Diagnose Diabetes 2 in Alland ins Rehabilitationszentrum – in der Nähe von Altenmarkt, wo er als Geflüchteter aufgenommen worden war. Da sich sein Gesundheitszustand nicht besserte, überwies ihn auf sein Drängen hin sein Arzt im Juli zum Lungenröntgen. Dementsprechend viel zu spät erkannte man, dass er Lungenkrebs hatte. Am 16. März 2020, gleich nach seinem Geburtstag, starb er in Wien.

Mit Liebe und großer Dankbarkeit blicke ich auf die 27 Jahre zurück, in denen ich mit Imre Seite an Seite zusammenarbeiten durfte.

Wir alle behalten Imre-Árpád Csiszér als guten Zuhörer, beliebten Kollegen und Cellisten dankbar in lebendiger Erinnerung. 

Ute Ulrike Schmidt

Auf dieser Welt gibt es nur wenige Menschen, die die Grenzen der göttlichen Gnade erkennen und sich darin finden. Imre-Árpád Csiszér war so ein Mensch.

László Kászoni